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Reisetagebuch
Während meiner Südamerikareise 2002 habe ich regelmässig Berichte nach Hause geschickt und auf
dieser Seite veröffentlicht. Die Berichte erheben weder Anspruch auf politische Korrektheit
noch Objektivität. Sie sollen einfach wiederspiegeln, was ich erlebt und dabei empfunden habe.
Ich habe ebenfalls ein paar Daten zusammengetragen und eine kleine Reisestatistik erstellt.
Aus den überarbeiten Berichten ist ein bebildertes Buch geworden. Wer gerne ein Exemplar möchte, soll sich bei mir melden. Das Buch ist aber auch online erhältlich: [PDF] (6MB download)
Die original-Berichte sind immer noch online:
20.2.2002 - Zu Hause 5.3.2002 - Puerto Montt 15.3.2002 - Osorno, Chile 21.3.2002 - Temuco, Chile 29.3.2002 - La Serena, Chile 4.4.2002 - La Serena, Chile 10.4.2002 - Iquique, Chile 19.4.2002 - La Paz, Bolivia 29.4.2002 - Sucre, Bolivia
Am Freitag bin ich den ganzen Tag durch la Paz geschlendert. So langsam fühlte ich mich wohler in dieser Stadt. Die Strassen sind voller Leben, überall hocken kleine, rundliche Bolivianerinnen, Mamas, in bunten Tüchern und wollen etwas verkaufen. Alletragen Melonenhüte, meist schräg auf dem Kopf. Darunter lampen lange Zöpfe hervor. Aus jedem der zig Micros, dem Hauptverkehsmittel, schreit ein Junge am Band Destinationen. Ein Gehupe und Blechgedränge. Da und dort pisst wieder einer zwischen 2 parkierte Autos. Die Strassen sind steil und oft unbeschriftet, was die Orientierung nicht unbedingt vereinfacht. Viele Bettler sitzen am Strassenrand. Hie und da wieder ein zur Müllhalde verkommener Hof. Am Prado, der Hauptstrasse aber nur Luxusbauten, Hochhäuser, Mc Donalds, Banken.
Die Kleidung, besonders die Schuhe, sind den Leuten wichtig. Alle fünf Meter sitzt ein Schuhputzer mit Gesichtsmaske, wer weiss, weshalb - es sieht zuweilen recht beängstigend aus - und zeigt allen Passanten auf die Schuhe, die er polieren will. Mich schätzen sie nicht so, da ich in Sandalen gehe. Wer nicht gerade bettelarm ist, geht gepflegt, in sauberen Kleidern. Die Mamas tragen schöne, bunt gestreifte Stoffe und ihr Hut sieht immer wie neu aus. Trotzdem ist die Armut nicht zu übersehen.
Am nächsten Tag besuchte ich El Alto, die Stadt oberhalb von La Paz mit der grössten Wachstumsrate Südamerikas, über 10% pro Jahr.
Hier herrscht nur noch Armut. Häuser sind legomässige Backsteinquader, Fensterscheiben ein Luxus. Nahe der Plaza 16 de Julio ass ich in einem sehr einfachen Restaurant für knapp CHF 2.-. Drei lokale wollten mit mir plaudern und luden mich auf ein Bier ein. Da mich der eine unbedingt zum Armdrücken herausfordern wollte, bezahlte ich die Runde. War mir recht. So konnte ich bezahlen, ohne seinen Stolz zu verletzen.
Danach wagte ich mich noch etwas weiter durch die Stadt. Die Cokeschilder, kleinen Läden und Marktstände verschwanden und die Gegend wurde immer einfacher, ärmer, trostloser. Vorbei an Abfallhalden, in welchen nach essbarem gesucht wurde, aber auch an improvisierten Spielplätzen fuhr ich im Micro, alle 10 min. einen Boliviano bezahlend. Trotz all der Armut ist El Alto kein Ghetto. Es scheint, dass die Meisten Leute ein Dach über dem Kopf haben, rsp. ein paar Mauern, hinter welchen sie leben, keine Kartonhütten. Auf dem Rückweg nach la Paz, der "reichen" Stadt, konnte ich die geniale Aussicht geniessen.
Die Sonntagnacht verbrachte ich in einem Bus nach Potosí. Nix mit Semi-cama oder bescheidenster Beinfreiheit, schon gar kein Klo an Bord. Zudem war die Strasse recht übel und ich tat kein Auge zu.
Von Sucre ging ich direkt weiter nach Sucre, um meine Sprachschule zu organisieren. Ich klapperte die Stadt nach Sprachschulen ab und entschied mich für die Academia Latinoamericana. Überraschenderweise konnte ich gleich in einen Kurs einsteigen. Zum Glück hatte ich nicht schon im Voraus per Internet gebucht, der Preis wäre einiges teurer gewesen. Nach einigem hin und der durch drei Gruppen fanden sie eine passende Gruppe für mein Niveau. Mein bescheidener bisheriger Lernaufwand hat sich gelohnt, ich konnte direkt in einem "intermedio" Level beginnen, nachdem ich den fehlenden Stoff am selben Nachmittag nachgeholt hatte.
Seither herrscht Party. All die Leute von der academia sind immer unterwegs, langweilig wirds da nicht. Sehr interessant ist der Internationale Mix der Leute. So hatte ich zum ersten Mal ein sehr interessantes Gespräch mit einem Israeli, der vier Jahre Militärdienst hinter sich hat und als Offizier in den besetzten Gebieten war und in Jaifa lebt. Normalerweise reisen Israeli in Horden, was persönliche Bekanntschaft etwas erschwert. Es ist immer sehr heilsam, mit Leuten zu sprechen, für die du dir schon ein Cliché zurechtgelegt hast. Entgegen meinen Erwartungen waren seine Ansichten gar nicht so weit von meinen entfernt. Leider musste ich mir dann aber auch mal "Sharon should've shot them all down, those fucking bastards" von einer Israelin anhören.
Witzig ist, wie wenig Verständnis die Leute für die schweizerische Neutralität aufbringen. Man wird gar etwas gehänselt, kaum verhält man sich mal etwas diplomatisch.
Interessant sind auch Gespräche mit den LehrerInnen, selber Studenten gleichen Alters in Sucre. Zum Teil sind sie etwas ultrareligiös-weltfremd, aber es ist interessant, mit ihnen über Politik zu diskutieren, gerade weil erschreckend. Die Eine hält eine Diktatur für den besten Ausweg aus der Krise des Landes, hat wegen Korruprion das Vertrauen in die Demokratie verloren. Bedenklich ist ihre Meinung zu Armut: Die Campesinos (die vom Land) seien faul und hätten Geld, sie wollten es nur nicht zeigen, um Mitleid zu schüren. Die Bettler in der Stadt würden es vorziehen, die hohle Hand zu machen, da es einfacher sei, als zu arbeiten. Wie steht es um die Zukunft eines Landes, in welchem Studenten so denken? Wenn sie ihr Land auch viel besser kennen als ich, so habe ich doch genug gesehen um dem zu widersprechen.
Auch sonst herrscht viel Rassismus in der Bevölkerung, besonders gegenüber Peruanern. So seien es fast nur eingereiste Peruaner, die kriminell seien u.s.w.
Wie schon erwähnt, kann man dem Festen kaum ausweichen. So zum Beispiel in einem schweizer Restaurant bei Fondue Bourginonne, begleitet von einer bolivianischen Frauenfolkband, mit vorerst nicht ganz freiwilliger Einführung in bolivianischen Tanz. Tolle Stimmung, auch wenn die Briten, welche hier das absolute Mehr haben, schon um 23 Uhr geschlossen ins Bett verdufteten.
Mittlerweile lebe ich bei einer Gastfamilie, den Incláns. Sie sind ausgesprochen nett und lassen mir zum Glück genügend Freiheiten. Trotzdem werde ich wohl nur bis Ende nächster Woche bleiben. Es kostet 12$/d, fast dreimal soviel, wie das Leben in einem günstigen Hostel und die Schule knöpft noch $4 davon ab, bevor es zur Familie gelangt. Zudem wird man praktisch ausschliesslich an reichere Familien vermittelt - meine hat ein grosses Haus und ein Dienstmädchen angestellt, was nur eine Seite der Gesellschaft zeigt. Aber das passt irgendwie zu Bolivien. Hier ist Schein Sein. Armut wird hinter den Türen versteckt und es wird oft auf zu grossem Fuss gelebt, um zu gelten. Ich möchte lieber in eine einfachere Familie, denen ich mit meinem Geld wenigstens etwas nütze.
Dieses Wochenende besuchte ich mit amigos der Schule die Minen von Potosí, der Stadt die ihren einstigen Reichtum und weltweiten Ruhm den riesigen Silberminen verdankte. In den Minen sieht es etwa so aus, wie in unseren, nur dass bei uns seit Jahrzehnten nicht mehr darin gearbeitet wird. Hier Arbeiten zig Mineros, meist Quechuas vom Land und sehr viele Kinder immernoch in den Minen, unter katastrophalen Bedingungen. Sie verdienen zwischen einem und 7 CHF pro Tag. Das einzige Werkzeug neben Hammer und Meissel ist Dynamit, welcher in der Stadt für jedermann käuflich ist. Für ein paar wenige Dollar hat man genug, um ein ganzes Haus in die Luft zu jagen. Die Mineros kauen alle Koka, um ohne zu essen den ganzen Tag/Nacht arbeiten zu können und trinken 96%igen Alkohol. Wir hatten das "Vergnügen", das auch zu probieren.
6.5.2002 - Sucre, Bolivia 20.5.2002 - Santa Cruz, Bolivia 29.5.2002 - La Paz, Bolivia 14.6.2002 - Copacabana, Bolivia 17.6.2002 - Puno, Peru 25.6.2002 - Cusco, Peru 5.7.2002 - Pisco, Peru 20.7.2002 - Huaraz, Peru 4.8.2002 - Iquitos, Peru 19.8.2002 - Salvador, Brasil 4.9.2002 - Vitoria, Brasil 15.9.2002 - Rio de Janeiro, Brasil 29.9.2002 - Bonito, Brasil 12.10.2002 - Buenos Aires, Argentina 28.10.2002 - zu Hause
[Sourcecode des Reisebericht-Projektes (Mailinglist,MySQL)]
last update: 14. Mar 21
| Author: Alain Brenzikofer
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