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Reisetagebuch
Während meiner Südamerikareise 2002 habe ich regelmässig Berichte nach Hause geschickt und auf
dieser Seite veröffentlicht. Die Berichte erheben weder Anspruch auf politische Korrektheit
noch Objektivität. Sie sollen einfach wiederspiegeln, was ich erlebt und dabei empfunden habe.
Ich habe ebenfalls ein paar Daten zusammengetragen und eine kleine Reisestatistik erstellt.
Aus den überarbeiten Berichten ist ein bebildertes Buch geworden. Wer gerne ein Exemplar möchte, soll sich bei mir melden. Das Buch ist aber auch online erhältlich: [PDF] (6MB download)
Die original-Berichte sind immer noch online:
20.2.2002 - Zu Hause 5.3.2002 - Puerto Montt 15.3.2002 - Osorno, Chile 21.3.2002 - Temuco, Chile 29.3.2002 - La Serena, Chile 4.4.2002 - La Serena, Chile 10.4.2002 - Iquique, Chile 19.4.2002 - La Paz, Bolivia 29.4.2002 - Sucre, Bolivia 6.5.2002 - Sucre, Bolivia 20.5.2002 - Santa Cruz, Bolivia 29.5.2002 - La Paz, Bolivia 14.6.2002 - Copacabana, Bolivia 17.6.2002 - Puno, Peru
In Santarosa fand ich ein gemütliches Hostal mit sympathischem Besitzerpaar. Wenigstens etwas. Das Hostal hatte sogar einen Pool, da der Grund aber nicht zu erkennen war ersparte ich dies meinem Immunsystem.
Bei einem beruhigenden Bier fing ich an zu überlegen, wie ich es anstellen könnte, meinen MD zurückzukriegen, wenn sie ankommen. Zu Jaime hatte ich Vertrauen, zählte also auf seine Ehrlichkeit. Leonardo wollte ich einfach einen Handel anbieten. Der Haken war, dass mir die Kohle langsanm ausging, hatte ich doch nicht mit mehr als 4 Tagen gerechnet. Anstatt Geld wollte ich ihm meinen Radio zum Tausch anbieten. Natürlich nur, wenn rhetorische Methoden nicht anschlagen.
Ein Tag verging und ich fragte mich dauernd, ob es überhaupt einen Sinn hat, dass ich hier noch mehr Zeit verbrate. Ein weiterer Tag verging ohne die Ankunft des blauen Volvos. Mittlerweile kannte mich schon das ganze Kaff, kommen hier doch äusserst selten mal Gringos vorbei. Und viele von ihnen wussten, dass ich auf einen Volvo wartete.
Ich lebte das Leben eines Bolivianers. Kein Geld, keine Arbeit, Fussball am Morgen (mein Zimmer war neben dem Fernseher, ich hatte gar keine Wahl. Hier sind die Spiele mitten in der Nacht und frühmorgens), die ganze Zeit läuft der Fernseher und penetriert dich mit superstupiden Sendungen (Big Brother Brasilien gehört zum gehobensten). Mit ein paar Lokalen spielte ich einige Partien Schach, besonders geübt waren sie aber nicht. Immerhin einer von ihnen gab mir regelmässig Saures.
Es dauerte lange, bis ich jemanden fand, der mein letztes 20$ Nötchen wechseln wollte, weil es ein kleines Loch hatte. Gegen brutal schlechten Kurs wars dann doch möglich. Immerhin konnte ich so etwas mehr Wartezeit finanzieren. Ich spreche hier von einem Budget von unter 10 CHF/Tag. Wenn ich sehr sparsam lebte, sollte ich es bis Sorata schaffen, wo ich vielleicht Cheques wechseln könnte. Wenn nicht, müsste ich wohl einige Tage Tellerwaschen, um die Fahrt bezahlen zu können.
Ich war das Warten leid und wollte mir ein Motorrad leihen, um ihnen entgegenzufahren. Jorge, der Hostalbesitzer hatte zwar eines, es war aber zu klein, um auf diese Strassen losgelassen zu werden. Ein anderer Typ hatte eine 250er, war aber sehr misstrauisch. Ich musste ihm meine Fahrkünste vorführen, trotz erfolgreicher Runde lehnte er aber ab. Vermutlich scheiterte der Deal daran, dass ich zu wenig Geld hatte, das ich ihm anbieten konnte. Dass ein Gringo mal in Geldnöten sein könnte geht hier wohl niemandem in den Kopf.
Meine Bücher hatte ich am dritten Tag warten definitiv alle fertiggelesen und konnte mir die Zeit nur noch mit spanischlernen totschlagen. Wenigstens kam dann ein Engländer an. Er sah noch dreckiger aus als ich, hatte ein paar Tage Dickicht-Trekking hinter sich. Wiedermal englisch sprechen.
Am vierten Tag war meine Geduld am Ende. Die Familie von Jaime hatte ich schon gefunden und hinterliess eine Nachricht, mit der Bitte, mit Leonardo zu sprechen, ich würde dann anrufen. Ich war entschlossen, meinen MD sausen zu lassen und einen Jeep nach Sorata zu nehmen. Als ich meine Sachen gepackt hatte und einsteigen wollte, war der Jeep schon abgefahren. Erst regte ich mich grausam auf, aber was sollte ich machen. Das musste ein Zeichen sein, dachte ich mir dann. Ich zog mich in die Hügel zurück, um etwas Quena zu spielen und fand meine Ruhe wieder. Einen Tag sollte ich noch finanzieren können. Ich wollte auf das Zeichen hören und nicht den "Nachtjeep" nehmen, sondern warten.
Meine Entscheidung wurde belohnt. Kurz nachdem die nächstmögliche Vagoneta abgefahren war, kroch ein blauer Volvo am Hostal vorbei. Ich traute meinen Augen nicht. Verdammte 4 Tage hab' ich gewartet, aber jetzt war er da. Mit mulmigem Gefühl packte ich mein Radio, das ich im Diebstahlsfalle als Tauschware verwenden wollte und stürmte zum Laster.
Ob sie meinen MD gefunden hätten, fragte ich vorsichtig, denn möglicherweise hatte Leonardo ja nur damit gespielt und ihn nicht zurückgelegt. Tatsächlich händigten sie mir meinen MD aus. Er habe auf der Ladefläche gelegen. Nun, es ist unnmöglich, dass ich ihn dort liegengelassen hatte, aber ich hatte meinen MD wieder und wollte nicht nachhaken. Ich freute mich wie ein kleines Kind und spendierte ihnen ein paar Runden.
Endlich konnte ich weiter. Mit vorletztem Geld verliess ich Santarosa. Wie's hatte kommen müssen, war die Strasse nach sorata verschüttet und wir mussten in irgendeinem Kaff übernachten.
Mir wurde das Vergnügen zuteil, mit ein paar Mitreisenden Gold-Mineros quasipuren Alkohol zu trinken und kettenzurauchen. Man darf ja nie ablehnen, wenn einem angeboten wird. Ein elender Saubrauch ist das.
Jedenfalls hatte ich Spass mit den Jungs. Besonders mein Fickvokabular hat profitiert. Einer von ihnen lebte lange in Deutschland und sprach auch gut deutsch. Er hatte mehr zu erzählen, als ich zuhören konnte. Ich war zu Müde, um die Nacht so durchzumachen. Ein noch so billiges Hostal konnte ich mir nicht leisten, da ich nicht genau wusste, wie weit meine letzten Bollies noch reichen mussten. Die einzige Alternative war die kalte, aber wenigstens überdachte Parkbank. Unbequem als gäb's nichts schöneres. Jetzt bin ich auch noch zum Penner geworden!
Am anderen Morgen konnten wir noch zuschauen, wie die Strasse geräumt wurde und weiter ging's. Meine neuen Amigos versuchten mir jede Cholita anzudrehen, die unseren Weg kreuzte. Leider wurde ich auch wiedermal mit "cuanto vale"-Talk belästigt. Verdammt nochmal, es tut mir ja leid, dass ich soviel Geld habe, um zwei Monate Reisen zu können (Meine Lügengeschichten widersprechen sich zuweilen, aber es merkt keiner).
Endlich war ich zurück in der Zivilisation. Ich genoss ein Doppelbett, feines Gringoessen und ein paar Stündchen in einer Bar. Trotzdem; wenn ich gewisse Dinge auch vermisst habe, so fing der Turismus mir doch schon wieder an, auf den Geist zu gehen.
Hier endete mein kleines Abenteuer. Viel Zeit hat es gekostet, aber eigentlich hatte ich ja genau das gekriegt, was ich gesucht habe und es ist alles nochmal gut gegangen. Die Zeit betrachte ich nicht als vergeudet, habe ich doch einen etwas anderen Einblick in die bolivianische Wirklichkeit gewonnen. Einige meiner bisherigen Aussagen in meinen Berichten muss ich doch etwas relativieren. So denke ich, ist nicht ganz falsch, Bolivianer als faul zu bezeichnen. Als erstes Leben sie. Niemals würden sie mehr arbeiten, als unbedingt zum überleben notwendig. Lieber geniessen sie. Es besteht kein Zweifel, dass in Bolivien einiges besser laufen könnte, aber man könnte meinen, die Leute wollen es gar nicht anders. Sie klagen gerne, aber ich könnte mir vorstellen, dass einige von ihnen glücklicher leben als wir. Die Armut hat hier viele Gesichter und längst nicht alle diese Gesichter sind bedauernswert.
Spätestens jetzt habe ich alle Pläne über Bord geworfen. Schon vor 2 Wochen wollte ich in Peru sein. Ecuador kann ich vergessen. Der einzige Fixpunkt ist mein Date mit Charlotte in Salvador de Bahia, Brasilien.
In Sorata gönnte ich etwas leichtes Trekking durch herrliche Landschaft und auf abenteuerlichen Wegen. Bald ging ich dann aber weiter nach Copacabana. Endlich sah ich wiedermal viel Wasser auf einem Fleck, den Lago Titicaca.
Ich verbrachte ein paar schöne Tage in Copacabana, auf der Isla del Sol und der Isla de la luna. Diese Inseln beeindruckten mich. Ihre gute Energie ist sofort spürbar.
Heute lief meine Aufenthaltsbewilligung ab, also musste ich nach Peru. Eigentlich wollte ich nach Arequipa, da gabs aber gewalttätige demonstrationen mit vielen Verletzten und es wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. So muss ich halt nach Cuzco. Auf dieses Turismuszentrum freue ich mich nicht besonders, aber ein interessanter Deutscher, den ich gestern kennengelernt habe, hat mir die umliegenden, weniger frequentierten Ruinen sehr schmackhaft gemacht.
25.6.2002 - Cusco, Peru 5.7.2002 - Pisco, Peru 20.7.2002 - Huaraz, Peru 4.8.2002 - Iquitos, Peru 19.8.2002 - Salvador, Brasil 4.9.2002 - Vitoria, Brasil 15.9.2002 - Rio de Janeiro, Brasil 29.9.2002 - Bonito, Brasil 12.10.2002 - Buenos Aires, Argentina 28.10.2002 - zu Hause
[Sourcecode des Reisebericht-Projektes (Mailinglist,MySQL)]
last update: 14. Mar 21
| Author: Alain Brenzikofer
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